Gründungsgeschichte

Omnes gentes plaudite manibus, jubilate Deo

Ihr Völker alle, klatscht in die Hände, jauchzet Gott!

Das 16-stimmige Schlussstück des Abschiedskonzerts, komponiert von Giovanni Gabrieli, erklang bereits am 6. August 1974 in einer Abendmusik im Berner Münster. Aufgeführt wurde es damals von einer 200-köpfigen Sängerschar, die sich während der Sommerferien in Bern zu einer internationalen Singwoche für mehrchörige Musik zusammengefunden hatte. Mit dabei war ein Chor aus München, der sich darauf spezialisiert hatte, mehrchörige Musik der Renaissance aus den Archiven auszugraben und wieder zur Aufführung zu bringen. Gastgeber war Hans Gafner mit seinem Kammerchor des Freien Gymnasiums Bern, einem Grüppchen von singbegeisterten Gymnasiasten und Seminaristinnen.

Die Musik, die die Gäste aus Deutschland mitbrachten, übertraf alles, was die singbegeisterten Jugendlichen bisher gewohnt waren. Mit Partituren, die liebevoll von Hand und dabei so perfekt wie mit modernen Notensatzprogrammen aus den Originalhandschriften angefertigt worden waren, begannen sie, diese längst vergangenen Klänge zu entdecken und in Raummusik zu verwandeln. Ungewohnt und faszinierend zugleich war das Musizieren in mehreren Chorgruppen, die im ganzen Raum verteilt waren und ein quadrophones Klangerlebnis bewirkten. Davon begeistert, hätten die Sänger und Sängerinnen zwischendurch lieber in der Mitte des Raumes zuhören wollen, als selbst zu singen.

Rasch lernten sie, dass diese Art zu musizieren, wesentlich anspruchsvoller ist, als wenn der Chor in einem Haufen zusammensteht. Wenn der Abstand zum nächsten Sänger mehr als einen Meter beträgt, sind die Mitwirkenden im Wesentlichen auf sich selbst gestellt und müssen ihre Partie solistisch beherrschen. Dazu kommt ein physikalisch bedingtes Phänomen, welches das Musizieren auch nicht einfacher macht: Wenn zwei Chorgruppen 50 Meter voneinander entfernt sind, dann benötigt der Klang der einen Gruppe bis zur andern 15 Hundertstelsekunden − ein Unterschied, der sehr gut hörbar ist. Es ist wichtig, nicht auf die anderen zu hören, sonst ist man unweigerlich zu spät und der Gesang gerät ins Wanken oder wird immer langsamer. Die Devise heisst: stur nach dem Schlag des Dirigenten singen, der in der Mitte des Raumes dieses Stimmengeflecht zu koordinieren versucht.

Nach dieser Singwoche und dem Abschlusskonzert im Berner Münster waren die Sängerinnen und Sänger des Freigymer-Kammerchors zu Fans der mehrchörigen Musik geworden. Sie bestürmten Hans Gafner, diese Musik in Bern unter seiner Leitung weiter pflegen zu können und dazu einen neuen Chor zu gründen, was er zuerst ablehnte. Er war sich wohl bewusst, dass die Begeisterung junger Leute sprunghaft ist und dass diejenigen, die an der Singwoche teilgenommen hatten, über kurz oder lang in alle Richtungen verstreut sein würden. Auf ihr Drängen hin willigte er schliesslich trotzdem ein. Die Teilnehmer der Singwoche aus der Region wurden zum Mitmachen ermuntert und bereits nach den Herbstferien 1974, keine drei Monate nach der zündenden Singwoche, fand die erste Probe des neu gegründeten Gabrielichors Bern statt. Der Name würdigt den wohl grössten Meister der Venezianischen Mehrchörigkeit: Giovanni Gabrieli (1557‒1612), Kapellmeister an San Marco, der Ausführende und Publikum mit seiner Motette «Omnes gentes» dermassen begeistert hatte.

Seither sind 50 Jahre vergangen. Der Gabrielichor ist durch all die Jahre seiner ursprünglichen Vision treu geblieben und führt mit gewohnter Frische vorwiegend mehrchörige Werke aller Zeitepochen bis hin zur Moderne auf. Davon zeugt unsere Chronik